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An­trag der Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg auf Wie­der­gut­ma­chung der durch den Na­zi­ter­ror zu­ge­füg­ten Schä­den, 1949

Quel­len­kri­ti­sche Ein­ord­nung

Auf der Grund­la­ge des „Ge­set­zes be­tref­fend Über­tra­gung von Ver­mö­gens­wer­ten der Pro­vinz Sachsen-​Anhalt an antifaschistisch-​demokratische Or­ga­ni­sa­tio­nen vom 30. Mai 1947“ und des am sel­ben Tage hier­zu er­gan­ge­nen Be­schlus­ses des Land­ta­ges, der die gleich­mä­ßi­ge Wie­der­gut­ma­chung der den Re­li­gi­ons­ge­sell­schaf­ten durch den Na­zi­ter­ror ver­ur­sach­ten Schä­den vor­sah, be­zif­fer­te die Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg den ihr ent­stan­de­nen Scha­den auf 926.900 DM und be­an­trag­te am 6. Mai 1949 bei dem Mi­nis­ter­prä­si­den­ten und dem Mi­nis­ter des In­nern des Lan­des Sachsen-​Anhalt des­sen Wie­der­gut­ma­chung.

In­halt­li­che Ein­ord­nung

Am 30. Mai 1947 stimm­te der Land­tag von Sachsen-​Anhalt dem Ent­wurf des Ge­set­zes be­tref­fend die Über­tra­gung von Ver­mö­gens­wer­ten der Pro­vinz Sachsen-​Anhalt an antifaschistisch-​demokratische Or­ga­ni­sa­tio­nen zu. Gleich­zei­tig nahm er mit nur einer Ge­gen­stim­me die von dem Rechts-​ und Ver­fas­sungs­aus­schuss des Land­ta­ges vor­ge­schla­ge­ne Ent­schlie­ßung zu die­sem Ge­setz an: „Die Re­gie­rung wird er­sucht, bal­digst von der im § 9 vor­ge­se­he­nen Er­mäch­ti­gung Ge­brauch zu ma­chen, um die den Kir­chen und re­li­giö­sen Ge­mein­schaf­ten durch na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Will­kür­ak­te zu­ge­füg­ten Ver­mö­gens­schä­di­gun­gen ent­spre­chend aus­zu­glei­chen.“

Auf die­sem Ge­setz be­ruh­te der An­spruch auf und die Zah­lung von Wiedergutmachungsbe-​trägen für Will­kür­maß­nah­men und Schä­den, die wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ent­stan­den waren, zum Bei­spiel im Ver­lauf des Po­groms am 9. No­vem­ber 1938. Die Lan­des­re­gie­rung er­kann­te die be­an­trag­te Summe von 926.900 DM in vol­lem Um­fang an. Da aber im Haus­halt des Lan­des für das Jahr 1949 die er­for­der­li­chen Mit­tel für die ge­setz­li­chen Scha­dens­er­satz­an­sprü­che nicht ein­ge­stellt waren, kam es zu kei­ner Aus­zah­lung. Die Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg er­hielt im De­zem­ber 1949 le­dig­lich einen Vor­schuss von 50.000 DM in An­rech­nung auf den ihr zu­ste­hen­den Scha­dens­er­satz­an­spruch nach dem Ge­setz vom 30. Mai 1947.

Für das Jahr 1950 stell­te das Land in sei­nem Haus­halt für Ent­schä­di­gun­gen der Syn­ago­gen­ge­mein­den in Halle und Mag­de­burg ins­ge­samt 1.275.000 DM zur so­for­ti­gen Ver­wen­dung ein. Die Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg be­an­trag­te bei dem Mi­nis­te­ri­um des In­nern, ihr hier­von einen Be­trag von 200.000 DM als wei­te­ren Ab­schlag aus­zu­zah­len. Sie be­nö­tig­te das Geld drin­gend, weil sie für ihr völ­lig zer­stör­tes Syn­ago­gen­ge­bäu­de ein Er­satz­grund­stück in der Klau­se­n­er­stra­ße 11/13 in Mag­de­burg er­wor­ben hatte, das zu einem Gottes-​ und Kul­tur­haus um­ge­baut wer­den soll­te. Hier­für waren die Hand­wer­ker­rech­nun­gen zu be­zah­len. Der Mi­nis­ter­rat be­schloss am 2. No­vem­ber 1950, der jü­di­schen Ge­mein­de in Mag­de­burg die­sen Vor­schuss unter der Vor­aus­set­zung zur Ver­fü­gung zu stel­len, dass die Frei­ga­be vom Mi­nis­te­ri­um der Fi­nan­zen der DDR ge­neh­migt werde. Die­ses lehn­te die Aus­zah­lung am 30. April 1951 je­doch ab, so dass Zu­wei­sun­gen des Lan­des in den Jah­ren 1950 bis 1952 aus­blie­ben.

Die Rechts­la­ge war ein­deu­tig. Ar­ti­kel 112 der Ver­fas­sung der DDR vom 7. Ok­to­ber 1949 schrieb vor: „Die Re­pu­blik hat das Recht der aus­schließ­li­chen Ge­setz­ge­bung über […] die Kriegsschäden-​ und Be­sat­zungs­kos­ten und die Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tun­gen.“ Er hob das Wie­der­gut­ma­chungs­ge­setz des Lan­des Sachsen-​Anhalt auf und legte für Wie­der­gut­ma­chun­gen grund­sätz­lich die Zu­stän­dig­keit der Re­gie­rung der DDR fest. Das Mi­nis­te­ri­um des In­nern der DDR bil­lig­te das Wie­der­gut­ma­chungs­ge­setz von 1947 nicht, weil es darin einen Vor­griff des Lan­des Sachsen-​Anhalt auf die Ge­samt­re­ge­lung die­ser Frage sah.

Zwar setz­te sich das Mi­nis­te­ri­um des In­nern des Lan­des wei­ter­hin bei dem Mi­nis­te­ri­um des In­nern der DDR für die Ent­schä­di­gung der jü­di­schen Ge­mein­den in Sachsen-​Anhalt ein, je­doch ent­schied die­ses, dass Wie­der­gut­ma­chungs­zah­lun­gen aus dem Lan­des­haus­halt prin­zi­pi­ell nicht er­fol­gen durf­ten, da die Re­ge­lung der­ar­ti­ger Fra­gen für die DDR ins­ge­samt vor­ge­nom­men werde. Somit war die Ent­schei­dung über Ent­schä­di­gun­gen auf der Lan­des­ebe­ne nicht mehr mög­lich. Am 24. Ja­nu­ar 1952 ver­füg­te das Mi­nis­te­ri­um des In­nern der DDR, dass der Lan­des­ver­band Jü­di­scher Ge­mein­den Sachsen-​Anhalt An­trä­ge auf Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tun­gen durch seine zen­tra­le Stel­le in Ber­lin, den Ver­band der Jü­di­schen Ge­mein­den in der DDR, un­mit­tel­bar den zu­stän­di­gen Re­gie­rungs­stel­len der DDR un­ter­brei­ten soll. Bis zur Auf­lö­sung des Land­ta­ges und der Lan­des­ver­wal­tung im Au­gust 1952 er­hielt die Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg von den ihr von der Lan­des­re­gie­rung zu­ge­stan­de­nen 926.900 DM bloß den ein­ma­li­gen Vor­schuss von 50.000 DM im De­zem­ber 1949.

Bei einem jähr­li­chen Be­darf von min­des­tens 60.000 DM für die Un­ter­hal­tung des kul­tu­rel­len und so­zia­len Ge­mein­de­le­bens ver­ur­sach­ten die aus­blei­ben­den Zah­lun­gen in den Jah­ren 1950 bis 1952 eine fi­nan­zi­el­le Not­la­ge der Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg. Die einst mit er­heb­li­chem Ei­gen­ver­mö­gen aus­ge­stat­te­te Ge­mein­de, die vor 1933 rund 3.000 Mit­glie­der um­fasst hatte, war ver­armt, über­al­tert und ohne einen ei­ge­nen Rab­bi­ner. Im Jahre 1952 be­stand sie nach ei­ge­nen An­ga­ben noch aus 165 An­ge­hö­ri­gen. Von die­sen war mehr als die Hälf­te älter als fünf­zig Jahre. Ein gro­ßer Teil der Ge­mein­schaft war auf Grund der Ver­fol­gung ar­beits­un­fä­hig, krank und ver­mö­genslos. Diese Per­so­nen be­durf­ten selbst der Un­ter­stüt­zung der Ge­mein­de. Au­ßer­dem hatte die Synagogen-​Gemeinde zu­sätz­lich die zen­tra­le Ver­wal­tung der im nörd­li­chen Teil von Sachsen-​Anhalt zer­streut lie­gen­den klei­nen jü­di­schen Ge­mein­den über­nom­men. Für die Auf­recht­erhal­tung des Ge­mein­de­le­bens fehl­ten ihr jeg­li­che Mit­tel.

Seit Au­gust 1950 wie­der­hol­te die Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg die For­de­rung nach einer jähr­li­chen Ab­schlags­zah­lung in Höhe von 50.000 DM bis zur end­gül­ti­gen Re­ge­lung. Am 18. De­zem­ber 1951 be­schwer­te sie sich beim Mi­nis­te­ri­um des In­nern in Halle (Saale) dar­über, dass die Re­gie­rung Sachsen-​Anhalts im Jahre 1950 in gro­ßem Um­fang Sub­ven­tio­nen an die Kir­chen ge­zahlt, aber die Synagogen-​Gemeinde zu Mag­de­burg nicht be­rück­sich­tigt habe, wo­hin­ge­gen das Land Thü­rin­gen den jü­di­schen Ge­mein­den jedes Jahr Bei­hil­fen für die Auf­recht­erhal­tung der Gemeinde-​ und Fried­hofs­ver­wal­tung zu­kom­men lasse.

Die Rück­ga­be von Grund­stü­cken er­folg­te auf der Grund­la­ge des Be­fehls Nr. 82 der So­wje­ti­schen Mi­li­tär­ad­mi­nis­tra­ti­on in Deutsch­land (SMAD) vom 29. April 1948 „über die Rück­ga­be des durch den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat ent­zo­ge­nen Ver­mö­gens an die de­mo­kra­ti­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen“. Die Durch­füh­rung die­ses Be­fehls wurde in der ers­ten Jah­res­hälf­te 1951 ab­ge­schlos­sen. Die jü­di­schen Ge­mein­den in Sachsen-​Anhalt er­hiel­ten bis Juni 1951 ins­ge­samt 42 Grund­stü­cke, vor allem Syn­ago­gen­grund­be­sitz, Fried­hö­fe und Ge­mein­de­ge­bäu­de, zu­rück. Die An­sprü­che der Ge­mein­den auf wei­te­re 38 Im­mo­bi­li­en waren noch offen. 1948 han­del­te der Land­tag nach der Rechts­auf­fas­sung, dass Be­feh­le der Be­sat­zungs­macht Vor­rang vor der Ver­fas­sung Sachsen-​Anhalts hat­ten.

Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te

Zu­stän­dig für die Durch­füh­rung der Wie­der­gut­ma­chung der den jü­di­schen Ge­mein­den zu­ge­füg­ten Schä­den war das Mi­nis­te­ri­um des In­nern des Lan­des Sachsen-​Anhalt. Des­sen Über­lie­fe­rung bil­det den Be­stand K 3 Mi­nis­te­ri­um des In­nern. Bei der Re­ge­lung und Um­set­zung der Wie­der­gut­ma­chungs­fra­ge wirk­ten au­ßer­dem vor allem der Land­tag Sachsen-​Anhalt, der Mi­nis­ter­prä­si­dent, das Mi­nis­te­ri­um der Jus­tiz, das Mi­nis­te­ri­um der Fi­nan­zen sowie das Mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ver­kehr in un­ter­schied­li­chem Maße mit. Die Be­stän­de sind in der Tek­to­nik des Lan­des­ar­chivs der vier­ten Grup­pe: „Land Sachsen-​Anhalt (1945-1952)“ zu­ge­ord­net.