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„Wohn­sitz­ver­le­gung“ des Menko Is­ra­el Hart (1863–1943), Des­sau/The­re­si­en­stadt

Quel­len­kri­ti­sche Ein­ord­nung

Das in Bank­un­ter­la­gen über­lie­fer­te Schrift­stück steht im Zu­sam­men­hang mit dem Ab­schluss eines „Heimein­kaufs­ver­tra­ges“.
Gemäß den Be­schlüs­sen der Wann­see­kon­fe­renz vom 20. Ja­nu­ar 1942 soll­te das auf dem Ge­biet der Tsche­cho­slo­wa­kei be­find­li­che Lager The­re­si­en­stadt nicht mehr nur als Sammel-​ und Tran­sit­la­ger für Jü­din­nen und Juden aus dem „Pro­tek­to­rat Böh­men und Mäh­ren“ die­nen. The­re­si­en­stadt wurde viel­mehr als „Al­ters­ghet­to“ für Jü­din­nen und Juden aus Deutsch­land und Ös­ter­reich vor­ge­se­hen. Hier­her wur­den ab Juni 1942 haupt­säch­lich jü­di­sche Per­so­nen im Alter von über 65 Jah­ren sowie als pro­mi­nent gel­ten­de Juden, wie Po­li­ti­ker, Wis­sen­schaft­ler und Trä­ger mi­li­tä­ri­scher Aus­zeich­nun­gen ge­bracht. In der Pro­pa­gan­da wurde das Lager als „Heim­statt für die Juden“ und „Al­ters­ghet­to“ ver­klärt. So­fern ihr Ver­mö­gen 1.000 Reichs­mark über­stieg, muss­ten die Be­trof­fe­nen auf Ver­an­las­sung der Ge­sta­po so­ge­nann­te „Heimein­kaufs­ver­trä­ge“ mit der Reichs­ver­ei­ni­gung der Juden in Deutsch­land ab­schlie­ßen. Die Ver­trä­ge dien­ten der Ver­schleie­rung der Ju­den­ver­fol­gung und soll­ten den staat­li­chen Zu­griff auf jü­di­sches Ver­mö­gen er­mög­li­chen. Neben einer Vor­aus­zah­lung, die sich mit 150 Reichs­mark pro Monat bis zum 85. Le­bens­jahr be­rech­ne­te, wur­den wei­te­re Ab­ga­ben, Spen­den und Ver­mö­gens­über­tra­gun­gen ge­for­dert. Laut Ver­trags­text soll­te der „Ein­kaufs­be­trag“ dabei nicht nur die Kos­ten der ei­ge­nen Un­ter­brin­gung de­cken, son­dern auch die Ver­sor­gung we­ni­ger be­mit­tel­ter La­ger­in­sas­sen er­mög­li­chen.
Mit dem vor­lie­gen­den Schrei­ben er­teilt Menko Hart sei­ner Bank die Voll­macht zur Ab­wick­lung der Trans­ak­tio­nen. Die Zah­lun­gen wur­den auf das „Son­der­kon­to H“ bei dem Bank­haus Heinz Teck­len­burg & Co, in Ber­lin über­führt, auf wel­ches das Reichs­si­cher­heits­haupt­amt Zu­griff hatte.
Als Ge­gen­leis­tung für die ge­for­der­ten Zah­lun­gen wurde den Be­tref­fen­den die le­bens­lan­ge kos­ten­freie Un­ter­brin­gung, Ver­pfle­gung und Kran­ken­ver­sor­gung zu­ge­sagt. Tat­säch­lich fan­den die De­por­tier­ten in The­re­si­en­stadt ka­ta­stro­pha­le Be­din­gun­gen, über­füll­te und kaum ge­heiz­te Wohn­stät­ten, man­gel­haf­te Er­näh­rung und un­zu­rei­chen­de ärzt­li­che Ver­sor­gung vor. Viele der alten, durch die Stra­pa­zen der Reise ge­zeich­ne­ten Men­schen er­la­gen Krank­heit und Hun­ger.
Im of­fi­zi­el­len Sprach­ge­brauch wurde die Be­zeich­nung „De­por­ta­ti­on“ nicht ver­wen­det. Viel­mehr wurde von „Ab­wan­de­rung“ oder „Eva­ku­ie­rung“ ge­spro­chen – für The­re­si­en­stadt wurde der Ter­mi­nus „Wohn­sitz­ver­le­gung“ ver­wen­det.

In­halt­li­che Ein­ord­nung

Der Kauf­mann Menko Hart (*1863), ur­sprüng­lich nie­der­län­di­scher Ab­stam­mung, besaß mit sei­ner Ehe­frau Mar­tha Kauf­häu­ser in Bit­ter­feld, Jeß­nitz, Bern­burg und Roß­lau. Der Wohn­sitz des Ehe­paa­res war lange Zeit Zör­big im da­ma­li­gen Kreis Bit­ter­feld. Hier wur­den auch die bei­den Söhne ge­bo­ren, die als Sol­da­ten im Ers­ten Welt­krieg star­ben. Um 1930 zogen Menko und Mar­tha Hart nach Des­sau, um hier ihren Ru­he­stand zu ver­le­ben. Menko Hart war ein an­ge­se­he­nes Mit­glied des Be­er­di­gungs­ver­eins Che­wra ka­disha und der Re­prä­sen­tan­ten­ver­samm­lung der Is­rae­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de.
Nur we­ni­ge Tage vor der im Be­hör­den­for­mu­lar als „Wohn­sitz­ver­le­gung“ ver­schlei­er­ten De­por­ta­ti­on Harts und sei­ner Frau in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt im No­vem­ber 1942 er­teil­te Hart sei­ner Bank, dem Zör­bi­ger Kre­dit­ver­ein von Le­de­rer, Kotzsch und Co. in Zör­big, den Auf­trag, um­fang­rei­che Ver­mö­gens­wer­te ent­spre­chend dem mit der Reichs­ver­ei­ni­gung der Juden ab­ge­schlos­se­nen „Heimein­kaufs­ver­trag“ auf ein Son­der­kon­to zu über­wei­sen.
Mit dem Sam­mel­trans­port am 18. No­vem­ber 1942 von Mag­de­burg aus wur­den die Ehe­leu­te in das Ghet­to The­re­si­en­stadt de­por­tiert. Mar­tha Hart starb be­reits ei­ni­ge Tage nach der An­kunft in The­re­si­en­stadt (29. No­vem­ber 1942), ihr Mann ver­starb nur we­ni­ge Mo­na­te spä­ter, am 13. Fe­bru­ar 1943.

Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te

Die Akte „De­po­t­an­ge­le­gen­hei­ten Menko Is­ra­el Hart, Des­sau/The­re­si­en­stadt“ ge­hört zu der nur we­ni­ge Akten um­fas­sen­den Über­lie­fe­rung des Ar­chiv­be­stan­des I 678 Zör­bi­ger Cre­dit­ver­ein von Le­de­rer, Kotzsch & Co. KGaA, Zör­big (Be­stand I 678). Sie ent­hält Un­ter­la­gen aus den Jah­ren 1939–1943 mit Schrift­ver­kehr von Hart mit dem Kre­dit­ver­ein zu Ver­mö­gens­an­ge­le­gen­hei­ten, vor allem aber Rund­schrei­ben und Kurs­zet­tel. Die Akte endet mit dem ab­ge­bil­de­ten Schrift­stück.
Wie alle Pri­vat­ban­ken wurde der Zör­bi­ger Kre­dit­ver­ein nach Kriegs­en­de ge­schlos­sen. Die Un­ter­la­gen gin­gen an die Deut­sche No­ten­bank über, da­nach an das Ver­wal­tungs­ar­chiv der Staats­bank der DDR, Be­zirks­di­rek­ti­on Halle, von wo sie an das Staats­ar­chiv Mag­de­burg (heute Lan­des­ar­chiv Sachsen-​Anhalt) über­ge­ben wur­den.